Kriegskunst
California Vaqueros
Worauf aber kommt es bei guter Rinderarbeit an?
Horsemanship
Stockmanship
Real jobs
Die Arbeit am Rind erfreut sich heute immer grösserer Beliebtheit und wird in verschiedenen Reitweisen und auf unterschiedlichste Art und Weise praktiziert. Disziplinen wie Cutting oder Working Cow Horse sind aus dem Westernsport bereits seit vielen Jahren bekannt, aber auch in der Working Equitation gehört die Arbeit am Rind dazu und abseits vom Turniergeschehen findet auch Ranch Work nach dem Vorbild der California Vaqueros und Buckeroos aus dem Great Basin immer mehr Liebhaber und sogar in dem Bereich der Landwirtschaft ist mittlerweile durchgedrungen, dass manche Aufgaben besser und stressfreier mit Pferden erledigt werden können. Ein guter Grund, um die Rinderarbeit in ihren verschiedenen Facetten und deren Geschichte näher unter die Lupe zu nehmen.
Von der Kriegskunst zur Rinderarbeit
Entstanden aus der Kriegskunst, bzw. dem Kampf Mann gegen Mann zu Pferde, hat die Rinderarbeit in den südlichen Ländern Europas eine lange Tradition. Die ursprünglichen Rinderrassen waren wehrhaft gegen Wildtiere und aggressiv, so dass gut ausgebildete, rittige und vor allem wendige Pferde benötigt wurden. Um die Tiere auf Distanz zu halten und zu kontrollieren wurde auf der iberischen Halbinsel die Garrocha verwendet – eine 2-4 Meter lange Stange, die je nach Verwendungszweck aus verschiedenen Hölzern gearbeitet war und ihren Ursprung in der Kriegslanze der mittelalterlichen Ritter hat.
Mit der Entdeckung des amerikanischen Kontinents und der Besiedlung des heutigen Mexikos durch die Spanier wurden sowohl deren Rinder, als auch ihre Traditionen dort heimisch und mit der Besiedlung des heutigen Kaliforniens von diesen auch dort etabliert.
Mit dem Verbot des Hocking Knifes (ein sichelförmiges Messer am Ende der Garrocha, mit dessen Hilfe den Rindern die Sehnen der Hinterbeine durchtrennt wurden, um diese zum Stehen zu bringen und dann töten zu können), etablierte sich die Reata bzw. das Lasso, mit dessen Hilfe die Rinder gefangen werden konnten ohne sie zwangsläufig zu töten. Der Umgang der mexikanischen und kalifornischen Vaqueros mit diesem Tool ist legendär und kann heute noch in Mexiko auf den Charreadas, eine Art mexikanisches Rodeo aber ohne Preisgelder, bewundert werden. Auch Disziplinen wie „Colas en el Lienzo“, bei dem ein Stier am Schwanz gepackt und umgeworfen wird zeugen von der Arbeit der frühen Rinderhirten (diese Disziplin entwickelte sich, da es den indigenen Ureinwohnern, welche als Kuhhirten eingesetzt wurde, neben diversen weiteren Restriktionen, verboten war eine Garrocha zu nutzen, da diese auch als Waffe gegen die spanischen Eroberer hätte eingesetzt werden können).
California Vaqueros
Im heutigen Kalifornien entwickelte sich eine Kultur nach spanischem Vorbild, in der die Reiterei, neben Tanz und Gesang, als Kunstform betrieben wurde. In dieser ging es primär auch nie darum einfach nur den Job zu machen, sondern diesen immer mit Stil und Klasse und vor allem ohne Zeitlimits auszuführen. Wenn die Arbeit heute nicht erledigt werden konnte, dann eben morgen – Ausdrücke wie „mañana“ oder „poco a poco“ spiegeln den Grundgedanken der Rinderarbeit der California Vaqueros, die für ihre feine und effektive Arbeit am Rind berühmt waren und sind.
Aber genug des geschichtlichen Hintergrunds mit dem man ganze Bücher füllen könnte und zurück in die heutige Zeit.
Moderne Turnierdisziplinen die am Rind geritten werden, werden in der Regel entweder nach Zeit oder nach möglichst spektakulärer Performance des Pferdes bewertet, was mit dem eigentlichen Gedanken der Ranch Work leider nicht mehr viel gemeinsam hat. Wildes Hineingaloppieren in eine Rinderherde oder das Scheuchen des Rindes im Galopp hätte im echten Arbeitsalltag wohl den Verlust des Arbeitsplatzes des Cowboys zur Folge, da der Hauptfokus immer auf einer möglichst stressfreien Bewegung des Rindes liegen sollte. Erstens um die Herde nicht in Aufruhr zu bringen, zweitens um unnötigen Gewichtsverlust des Rindes zu vermeiden und drittens um das Pferd möglichst lange einsatzfähig zu halten, indem es nicht unnötig ermüdet und gesund bleibt.
Glücklicherweise gibt es heute Trainer und Reiter, dies sich der traditionellen Arbeit der Vaqueros, Buckeroos und Cowboys verschrieben haben und nach diesen Gesichtspunkten arbeiten. So betreibt zum Beispiel das Ranch Roping Team Rinderarbeit und die Kunst des Lassowerfens nach traditionellem Vorbild und zeigt dies auch in Form von Demos auf Messen und Events, wie z. B. den jährlich statt findenden Vaquero Classics.
Worauf aber kommt es bei guter Rinderarbeit an?
Wie immer im Umgang mit dem Pferd geht es zu allererst um Horsemanship. Je grösser das Vertrauen zwischen Pferd und Reiter und je besser die Kommunikation zwischen diesen beiden Lebewesen, umso einfacher fällt es beiden ruhig und kontrolliert eine Rinderherde oder auch einzelne Rinder zu dirigieren.
Kann der Reiter sein Pferd fein und genau lenken und manövrieren, so kann er beispielsweise die Seitengänge nutzen um mit der Kruppe des Pferdes im Renvers das Rind vorwärts zu schicken oder es im Schulter Herein in vorderer Position wieder zu bremsen. Hierdurch können unnötige Bewegungen des Pferdes vermieden und Kraft und Energie gespart werden.
In einer Arbeitsreitweise in der nicht nur Rinder bewegt, sondern vielleicht auch mit dem Lasso bzw. der Reata gefangen werden sollen, muss sich der Reiter blind auf sein Pferd verlassen und dieses mit minimalen Hilfen lenken und leiten können. Erforderlich ist ein mit-, teilweise sogar vorausdenkender Partner, der sowohl aktiv arbeiten als auch, bei aggressiven Rindern oder gefährlichen Situationen, passiv agieren kann. Wenn notwendig muss sich das Pferd blitzschnell bewegen können und im nächsten Moment wieder „ausschalten“ lassen, es muss warten können und in Bruchteilen von Sekunden agieren und reagieren. Um hierbei gesund zu bleiben muss das Pferd in den Manövern zwangsläufig versammelt agieren, was eine jahrelange Ausbildung erfordert, ganz abgesehen von der mentalen Stärke, welche z.B. in einem engen Branding Pen erforderlich ist, wenn auf kleinstem Raum in einer grossen Herde gearbeitet wird. Reiter und Pferd müssen zu einer Einheit verschmelzen und sich absolut aufeinander verlassen können.
Horsemanship
Horsemanship first sollte immer die Devise sein und der Reiter sollte am Rinde genau so fein und präzise mit seinen Hilfen einwirken, wie er dies auch in der Dressurarbeit tun würde, auch auf die Gefahr hin vielleicht ein Rind zu verlieren, da dieses sowieso am nächsten Zaun anhält.
Die Arbeit am Rind bringt dem Pferd den Vorteil eines „echten Jobs“ und geben ihm einen Sinn für die gewünschten Manöver, da es diese ja parallel zum Rind oder zum Zweck der Kontrolle des Rindes ausführt. Ausserdem wachsen Pferde mental enorm und gewinnen an Selbstvertrauen, wenn sie lernen gemeinsam mit ihrem Menschen schwierige Situationen, wie z.B. das Durchqueren einer Rinderherde, zu meistern. In der Verantwortung des Reiters liegt es, sein Pferd nur in dessen möglichem Rahmen zu fordern und hierdurch den Arbeitswillen und die Motivation zu steigern. Dies bedeutet z.B. mit einem jungen Pferd auf mehr Distanz zu arbeiten um langsamer agieren zu können, die zu arbeitenden Rinder entsprechend des Könnens des Pferdes auszuwählen, oder beim Ropen mit einem „grünen“ Pferd nicht gleich den 800kg Stier zu headen bzw. aufzuhören, wenn es vielleicht gerade am Meisten Spass macht. Der Grundgedanke der California Horsemanship ist immer das Pferd zu arbeiten und mit Hilfe der Rinderarbeit besser zu machen.
Stockmanship
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Stockmanship. Dies heisst zu allererst einmal, dass Rinder genau so wertige Lebewesen wie Pferde sind und einen respektvollen Umgang mit ihnen verdient haben.
Ausserdem geht es darum mit kleinstmöglichem Einsatz und der grösstmöglichen Ruhe die grösstmögliche Effektivität zu erreichen. Der Reiter muss lernen, wie Rinder bewegt werden können, ähnlich der freien Arbeit mit Pferden. Reitet er auf die innere Rinderschulter zu, wird es sich von ihm weg drehen, in einem Halbkreis aufs äusere Auge zugeritten dreht das Rind zum Pferd. „Druck auf die Hüfte“ des Rindes bewirkt, dass dieses weicht bzw. vorwärst geht, „Druck“ von vorne bremst das Rind.
Es kann durchaus sinnvoll sein, zuerst am Boden zu lernen wie Rinder reagieren und bewegt werden können, da jedes Rind, wie auch Pferde, eine individuelle Fluchtdistanz hat. Allerdings sollte bedacht werden, dass Rinder durchaus angreifen können, wenn sie sich in die Enge gedrückt fühlen. Unterschiedliche Rassen haben verschiedene Fluchtinstinkte oder auch Agressionspotential – so sollte man z.B. mit einem Corriente mit Sicherheit anders umgehen als mit einem Black Angus, eine Mutterkuh mit Kalb kann durchaus gefährlich werden, wenn sie ihr Kalb bedroht sieht und natürlich sind auch Bullen mit Vorsicht zu geniessen. In der Regel sind die meisten in Mitteleuropa vertretenen Rassen aber freundlich und ungefährlich, da dies im Interesse der Züchter liegt.
Gute Ranch Work beinhaltet viel Schrittarbeit, Stehen und auch Warten. Eine Rinderherde die sich vor einem Tor versammelt hat, durch welches sie noch nie gegangen ist, bekommt man nicht hindurch indem man viel Druck macht, sondern indem man wartet und ihnen die weiteren Auswege versperrt. Oft ist einfaches Warten und Nichtstun wesentlich effektiver als „Druck“ zu machen, mit der Gefahr, die ganze Herde in Aufruhr zu versetzen und nachher wieder zusammen suchen zu müssen. Der Reiter muss lernen das Rind zu lesen und entsprechend zu reagieren, ohne dabei hektisch zu werden. Müssen Rinder ärztlich versorgt oder gebrannt und dazu mit dem Lasso gefangen werden, treibt man sie erst in Ruhe in Richtung des Arbeitsplatzes um sie nicht länger als nötig am Rope zu haben und hierdurch den Stress für das Tier zu minimieren. Bei Pferden mit viel Energie und ängstlichen Rindern kann es z.B. Sinn machen, rückwärts in die Herde zu reiten oder mit mehr Abstand zu arbeiten um die Tiere so ruhig wie möglich zu halten. Schnelle, spektakuläre und hektische Arbeit mit Rindern funktioniert nur in kleinen eingezäunten Arealen, jedoch nicht auf grossen Flächen und sollte immer vermieden werden zum Wohle von Pferd UND Rind.
Wer sein Pferd entsprechend ausgebildet und sich in Stockmanship geschult hat, wer also weiss wie Rinder agieren und reagieren und einen langen Ausbildungsprozess mit seinem Pferd durchlebt hat, der mag sich vielleicht für die Kunst des Ranch Ropens interessieren. Da es wenige gefährlichere Freizeitbeschäftigungen als Roping gibt, sollte man sich zuerst am Boden mit dem ca. 60 Fuss langen Seil vetraut machen und in Form eines Kurses die Grundwürfe erlernen, bevor man dann sein Pferd an das neue Arbeitsgerät gewöhnt und vielleicht irgendwann auch ein Rind damit einfängt. Dann aber bitte nicht zum Spass, sondern weil dieses z.B. ärztlich versorgt werden muss, oder eben mit einer sogenannten Break Away Honda, welche sich bei Druck öffnet.
Real jobs
Natürlich gibt es wenige Ausnahmen, die quasi in unseren Breitengraden als „echte Cowboys“ arbeiten, aber für die meisten ist Rinderarbeit bzw. Ranch Work eine willkommene Abwechslung im Freizeitreiterbereich, bei der sowohl Pferd und Reiter, als auch die Rinder Spass – und alle gemeinsam eine tolle Zeit haben können. Der Reiter wächst mit seinem Pferd zusammen, so dass beide zu einem besseren Team werden, welches zusätzlich meist mit anderen Pferd-Reiter-Paaren zusammenarbeitet.
So steht einer gemeinsamen guten Zeit nichts im Wege und das ist es doch worum es am Ende geht.
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