GARROCHA

Geschichte der Garrocha als Lanze
Einsatz der Garrocha am Rind
Spanische und portugiesische Variante der Garrocha
Die Garrocha in der neuen Welt
Vorteile in der täglichen Arbeit
Anwendung der Garrocha in der Dressurarbeit
Erste Schritte mit der Garrocha erlernen

Ich persönlich habe meine ersten Erfahrungen mit der Garrocha vor ca. 18 Jahren gemacht und freue mich sehr, dass dieses Arbeits- oder auch Trainingsgerät immer mehr Freunde auch im deutschsprachigen Raum gewinnt. Dieser Artikel soll daher einen kleinen Einblick geben in die Geschichte, die Anwendung damals und heute und den Benefit in der Ausbildung des eigenen Pferdes.

Geschichte der Garrocha als Lanze

Historisch gesehen ist die Holzstange, die heute auf der iberischen Halbinsel zur Rinderarbeit verwendet wird, eine Abwandlung der Kriegslanze der berittenen Kämpfer deren Geschichte bis weit vor Christus zurück reicht. Bereits Völker wie die Parther, Römer, Nubier und viele andere benutzten Speere und Lanzen sowohl am Boden, auf Streitwagen und auch innerhalb der berittenen Einheiten, welche nicht nur mit Pferden agierten, sondern, wie z.B. bei den Parthern, auch von Kamelen aus. Allen bekannt sind wohl die Waffengänge der Ritter des Mittelalters innerhalb welcher 2 Reiter sich mit Lanzen bekämpfen.

Einsatz der Garrocha am Rind

Hieraus adaptierten die Rinderhirten der iberischen Halbinsel ein Arbeitsgerät, welches seit vielen Jahrhunderten zur Kontrolle der Rinder und im Besonderen der dort gezüchteten aggressiven Stiere eingesetzt wird. Bekannt ist den Meisten die spanische Variante welche ca. 3-4 Meter lang aus hartem Holz ist und an ihrem Ende eine Metallspitze hat, welche primär nicht den Zweck hat das Tier zu verletzen sondern das Abrutschen am Fell des Tieres zu verhindern. Die Garrocha dieser Bauart eignet sich gut dafür die Stiere mit 2 Reitern und deren Garrochas einzukeilen und hierdurch zu Fall zu bringen, was noch heute in Andalusien praktiziert wird- beispielsweise zur ärztlichen Kontrolle der Tiere. Ausserdem gewährleistet sie die Sicherheit von Pferd und Reiter, welcher hiermit den Stier auf Abstand halten kann, was mit einem Rope bzw. Lasso nicht so möglich wäre.

Spanische und portugiesische Variante der Garrocha

Die portugiesische Garrocha ist deutlich kürzer und sehr flexibel bzw. biegbar. Da sie in Portugal nicht dazu dient die Stiere zu Boden zu bringen hat die Flexibilität den Vorteil, dass die entstehende Stosskraft bei Kontakt zum Tier in Form von Spannungsenergie innerhalb des Holzes umgewandelt und weniger stark auf den Reiter übertragen wird. Durch die geringere Länge ist sie ausserdem handlicher und einfacher zu führen als die spanische Variante – allerdings weniger für die Dressurarbeit zu gebrauchen, das sie schlicht zu kurz ist um Pirouetten und andere Manöver darunter hindurch zu reiten.

Die Garrocha in der neuen Welt

Ihren Weg in die neue Welt fand die Garrocha mit den spanischen Conquistadores und deren Lanzen. Da den indigen Ureinwohnern keine Pferde bekannt waren hielten sie die Eindringlinge auf ihren Pferden mit Lanzen für Halbgötter, die fast unbesiegbar waren. So gelang es den Spaniern trotz zahlenmässiger Unterlegenheit schnell in Mittelamerika Fuss zu fassen und die dort ansässigen Azteken zu unterwerfen. Sich durchaus bewusst darüber, welchen Vorteil ihnen ihre Pferde und auch Lanzen verschafften, verboten die Spanier den Einheimischen zu reiten. Dieses Verbot wurde immer weiter aufgeweicht und 1564 bekam der erste Haciendado die Erlaubnis Einheimische als Reiter einzusetzen. Neben einigen anderen Reglementierungen war es ihnen aber weiterhin verboten spanische Ausrüstungsgegenstände und Waffen zu nutzen, wie eben auch die Garrocha, welche sowohl zur Rinderarbeit, aber eben auch als Kriegslanze eingesetzt werden konnte.
Die Spanier nutzten die Garrocha in dieser Zeit sowohl in der heute bekannten Form und Technik zur Rinderarbeit, als auch mit einer Schlinge am Ende der 3,5-5 Meter langen Stange, mit deren Hilfe Rinder eingefangen werden konnten. Ausserdem wurde eine Technik praktiziert, in der den Rindern im Lauf mit Hilfe eines sichelförmigen Messers am Ende der Garrocha (dem sogenannten Hocking Knife), die Sehnen eines Hinterbeins durchtrennt wurden, so dass diese nicht mehr weiterlaufen und getötet werden konnten. Diese Technik wurde allerdings 1574 verboten, wodurch die Garrocha in der neuen Welt mehr und mehr ihren Sinn verlor und durch das Rope bzw. Lasso abgelöst wurde.

Vorteile in der täglichen Arbeit

Heute erfreut sich die spanische Variante der Garrocha mit einer Länge von 3-4 Metern immer grösserer Beliebtheit und kann hervorragend in die Dressurausbildung integriert werden. Hierbei steht nicht die Nutzung zur Arbeit von Rindern, sondern andere Gründe im Vordergrund.

– das Pferd hat eine optische Führung und Begrenzung in den Zirkeln und erkennt daher den Sinn des Kreises

– der Reiter hat eine klare Kontrolle seiner Linienführung

– richtig angewendet bringt die Garrocha den Reiter in den korrekten Sitz für die zur Ausbildung des Pferdes und auch den Gebrauch der Garrocha notwendigen Seitengänge

– Schulung des einhändigen Reitens für Reiter und Pferd

– durch die Ablenkung/ den geänderten Focus und den entstehendens Spass lernt der Reiter loszulassen und das Pferd nicht durchgehend mit Hilfen zu „belästigen“

Zuerst sollte das Pferd natürlich am Boden mit der Garrocha bekannt gemacht werden und diese an seinem Körper akzeptieren. Gerade in den Wendungen nach aussen kann es schnell passieren, dass die Garrocha in Kontakt zur Kruppe des Pferdes kommt, wodurch manche Pferde erschrecken können. Auch sollte das Pferd lernen, dass es quasi von der Garrocha verfolgt wird, wenn der Reiter diese neben oder auch hinter sich her zieht. Speziell im Rückwärts reagieren viele Pferde schreckhaft, wenn sie dabei von der Garrocha „verfolgt“ werden.

Für die Dressurarbeit nimmt der Reiter die Zügel in die linke Hand, streckt den rechten Arm mit der Handfläche nach oben aus und legt die Garrocha in seine Hand.

Anwendung der Garrocha in der Dressurarbeit

Traditionell wird die Spitze der Garrocha in die Hand genommen um zu vermeiden, dass diese durch den Schmutz gezogen wird, wodurch sich Keime an der Spitze ansiedeln würden und bei der Arbeit, im Falle einer kleinen Verletzung des Rindes, z. B. eine Tetanusinfektion verursacht werden könnte. Daher gilt es die Spitze sauber zu halten und das „Griffende“ auf den Boden zu legen. Dies ist in unseren Breitengraden allerdings irrelevant, da wohl nur die wenigsten die Garrocha entsprechend ihres ursprünglichen Einsatzzweckes verwenden werden. Ausserdem haben die hier angebotenen Dressurgarrochas aus Holz oder Fiberglas in der Regel keine Metallspitze, um das Verletzungsrisiko des Reiters zu minimieren. (Bei Arbeitsgarrochas kann die Metallspitze mit Hilfe eines Schraubgewindes getauscht oder auch abgenommen werden).
Aber zurück zur Dressur. Liegt die Garrocha in der Hand des Reiters nimmt er den Arm etwas nach hinten, wodurch ein Schulter-Herein-Sitz unterstützt wird, und beginnt einen Rechtszirkel zu reiten. Vergrössert das Pferd den Zirkel, hilft etwas mehr Abstellung bzw. Seitwärts im Schulter-Herein, bis die Garrocha in der Zirkelmitte ruhig liegen bleibt. Als erste Übung kann der Reiter nun tangential aus dem Zirkel heraus reiten und hierbei den Arm mit der Garrocha mit der Handfläche nach oben nach oben vorne heben um dann nach links abzuwenden. Der Arm sollte so hoch wie möglich gehalten werden, bis die Kruppe des Pferdes komplett unter der Garrocha hindurch ist.

Nun kann ein Linkszirkel geritten werden, wobei die Garrocha ganz automatisch die äussere Schulter des Reiters etwas nach vorne zieht und hierdurch wiederum den SH-Sitz unterstützt. Für eine erneute Wendung nach rechts reitet man wieder tangential aus dem Zirkel und hebt den Arm mit dem Handrücken nach oben in die Höhe, um dann nach rechts abzuwenden.

Möchte man auf der rechten Hand nach innen wenden, nimmt man den Armm mit dem Handrücken nach oben, nach hinten hoch und führt die Nase des Pferdes unter der Stange hindurch. Je nach Versammlungsfähigkeit des Pferdes kann dies in einer engen halben Pirouette geschehen oder mit vorherigem Anhalten und einer anschließenden Hinterhand- oder auch Vorhandwendung. Die Drehung nach innen von der linken zur rechten Hand erfolgt wiederum durch Heben des Garrochaarmes nach oben mit dem Handrücken nach oben, worauf die Wendung nach innen unter der Stange hindurch folgt.

Je nach Trainingsziel und Vermögen von Pferd und Reiter können diese Wendungen in allen Gangarten als halbe oder auch ganze Pirouetten geritten werden, für die Wendungen nach aussen bieten sich ausserdem Rollbacks, bzw. Media Vueltas an.

Möchte der Reiter den Zirkel verkleinern lässt er die Garrocha dabei durch die Hand laufen, das Verkleinern geschieht hierbei in einer Traversal-, das Vergrössern in einer Schulter-Herein Bewegung. Auf der rechten Hand kann die Garrocha beim Verkleinern entweder vor dem Körper des Reiters gehalten werden oder er kann diese über seine rechte Armbeuge oder Schulter laufen lassen. Auf der linken Hand bietet es sich an, die Garrocha beim Zirkel verkleinern vor dem Körper zu halten. Ebenfalls möglich, den Traverssitz unterstützend und sehr elegant ist es, die Garrocha hierbei hinter den Kopf zu nehmen, wobei auch der Garrocha Arm hinter den Kopf des Reiters geführt wird, und die Garrocha über die äussere Schulter des Reiters läuft.
Richtig angewendet muss nicht umgegriffen werden, was auch sinnvoll ist, da ein Umgreifen immer die Gefahr birgt die Garrocha zu verlieren.

Selbstverständlich gibt es noch viele weitere Übungen, wie z.B. ZickZack-Traversalen, welche auch mit fliegenden Wechseln kombiniert werden können, die Mühle, bei der die Garrocha neben dem Pferde gedreht wird (hier muss natürlich umgegriffen werden), den Einsatz als Lanze z.B. beim Ringstechen usw….
Die Garrocha ist also nicht nur ein Tool zur Kontrolle von Rindern, sondern auch ein höchst effektives Trainingsgerät für Pferde aller Könnensstufen.

Wer etwas Abwechslung in den Reitalltag bringen, Spass haben und dem Pferde einen Sinn in der täglichen Arbeit vermitteln möchte, für den ist die Arbeit mit der Garrocha auf jeden Fall ein tolle Sache.

Wenn die Abläufe klar sind, kann sogar mit 2 Personen (eines an jedem Ende) gearbeitet werden.

Erste Schritte mit der Garrocha erlernen

Wer sich für das Reitern mit der Garrocha interessiert, der kann z.B. auf einem meiner Kurse einen ersten Einblick erhalten. Als Einstieg empfehlen sich auch 3 kleine Videos, die ihr hier findet: https://findtheflow.de/category/ausbildung/reiten-mit-der-garrocha/

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