HANDARBEIT | INTERVIEW FH

Mit spielerischer Kommunikation auf einer freundschaftlichen und wertschätzenden Ebene profitiert bei Alex Zell auch das altkalifornisch gerittene Pferd von der klassischen Arbeit an der Hand, auch wenn diese in der altkalifornische Reitweise eigentlich keine wirkliche Tradition hat. Wie genau er das macht erklärt der Trainer im Interview mit FEINE HILFEN Chefredakteurin Agnes Trosse.

FEINE HILFEN: Für welche Ziele und in welchem Zusammenhang setzen Sie als Vertreter der altkalifornischen Westernreiterei die klassische Arbeit an der Hand ein?

Alex Zell: Die klassische Arbeit an der Hand ist für mich eine von vielen möglichen Werkzeugen in der Ausbildung von Pferden, die alle zu einer gewissen Zeit ihren Sinn haben. In der altkalifornischen Reiterei hat die Arbeit am Boden traditionell einen sehr geringen Stellenwert. Den California Vaqueros sagt man nach, dass sie kaum gehen konnten, da sie ihr ganzes Leben im Sattel verbrachten und es galt das Prinzip „was man vom Pferderücken erledigen kann, macht man nicht vom Boden“. Nun waren das auch andere Zeiten, wenn man z.B. die Arbeit mit den Jungpferden betrachtet: Ein fünfjähriges Pferd, welches wild in den Bergen lebte, wurde damals mit der Reata (Rohhautlasso) eingefangen, es wurde in einen Picadero gebracht, man „hobbelte“ ihm die Vorderbeine mit Fussfesseln und verband ihm die Augen. Dann wurde es gesattelt und sobald der Reiter im Sattel war wurden die Hobbel gelöst und die Blinds (Augenklappen) abgenommen. Alles weitere kann man sich gut vorstellen.

Es gab auch einige wenige Praktiken zur Arbeit am Boden, aber diese haben mit der klassischen Handarbeit wenig bis nichts gemeinsam. Dies ist natürlich nicht zeitgemäss und entspricht auch absolut nicht meiner Auffassung von gutem Horsemanship, ausserdem gibt es bei uns wenige Pferde die in wilden Herden leben und meine Gesundheit ist ein weiterer Aspekt, den ich nicht ganz unwichtig finde. Da ich grundsätzlich Pferde erst mit frühestens vier Jahren – gerne auch später – unter dem Sattel starte, bietet mir die klassische Arbeit an der Hand einerseits die Möglichkeit das Pferd bereits vorher in den Hilfen zu schulen und im weiteren auch zu gymnastizieren bevor es mit dem Reitergewicht belastet wird.

Dies gilt natürlich auch für ältere Pferde, die später geritten oder z.B. wieder auftrainiert werden. Das Pferd hat die Möglichkeit Kraft aufzubauen und wir können gemeinsam an seiner Balance arbeiten, die sich ja mit dem Reitergewicht ohnehin nochmals deutlich verschiebt bzw. ändert. Beim gerittenen Pferd habe ich durch die Handarbeit immer wieder die Möglichkeit neue Lektionen erstmal ohne Reiter zu schulen oder bereits bekanntes zu verfeinern. Auch Probleme, die evtl. im Sattel auftreten, lassen sich oft durch die Arbeit an der Hand genauer analysieren und teils besser erarbeiten bzw. korrigieren.

Pferde, die aus welchen Gründen auch immer, nicht geritten werden dürfen, können ebenfalls hervorragend an der Hand trainiert werden – Trageerschöpfung oder Kissing Spines sind z.B. Punkte, die quasi eine Arbeit an der Hand geradezu bedingen. Hier ist die klassische Arbeit an der Hand in Kombination mit viel Bewegung im Gelände, z.B. als Handpferd oder zu Fuss, eine hervorragende Möglichkeit Muskulatur aufzubauen und das Pferd ohne Reitergewicht zu einer korrekten und gesunden Bewegungsmotorik zurück zu führen.

Grundsätzlich habe ich immer, sofern das Pferd gesund ist, die Ausbildung des Pferdes als Reitpferd im Fokus. Deshalb versuche ich die Hilfen so zu etablieren, wie ich sie auch im Sattel nutzen kann.

Zum Beispiel ist es für mich sinnvoll, die Gerte nicht an der Kruppe einzusetzen, wenn sie den Schenkel erklären soll, da ich dort mit dem Bein nicht hin komme. Ich favorisiere es, die Gerte da zu nutzen, wo später auch der Schenkel oder der Zügel wirkt, so ist es nachher beim Reiten lediglich eine Übersetzung des bereits gelernten und macht für das Pferd deutlich mehr Sinn, bzw. ist verständlicher.

FEINE HILFEN: Wie verbinden Sie hier “Horsemanship-Bodenarbeit” mit der klassischen Arbeit an der Hand? Worauf achten Sie dabei besonders? Sind die Übergänge fliessend oder ganz klar?

Alex Zell: Das Horsemanship ist für mich die Grundlage zur Kommunikation mit dem Pferd. Wir lernen uns kennen und lesen, wir achten aufeinander und bauen quasi eine gemeinsame Sprache auf, die zwar ähnlich, aber doch bei jedem Pferd individuell ist. Wir legen die grundlegenden Regeln für unser Zusammensein und wachsen als Team zusammen. Ausserdem lernt das Pferd, sich von mir leiten und bewegen zu lassen. Gemeinsam bewältigen wir zum Beispiel aufregende Situationen und Hindernisse, woran unsere Beziehung wachsen kann. Wir erarbeiten Vertrauen, Beziehung, Gelassenheit und Losgelassenheit an der Hand und vor allem auch frei. Dies ist für mich die Grundlage, um dann an biomechanischen Zusammenhängen zu arbeiten und irgendwann zum Reiten zu kommen. In der Ausbildung kann ich diese Elemente auch immer wieder einbauen um den Spass und die Freude an der Mitarbeit zu erhalten bzw. Abwechslung in die Ausbildung zu bringen.

Den Übergang zwischen Leitseilarbeit, Liberty und klassischer Handarbeit gestalte ich in der Tat fliessend. Zu Anfang nutze ich zum Beispiel auch gerne weiterhin das Halfter und fasse dieses ggf. am Nasenstück an, wenn das Pferd Probleme haben sollte sich zu stellen. Mit der Zeit nehme ich dann auch den äußeren Zügel dazu, in dem ich das Leitseil als Schlinge um den Hals lege, so kann ich die äussere Schulter beeinflussen, ohne das Pferd mit einem Kontakt des Aussenzügels zur Zäumung zu verwirren – natürlich eignet sich hierfür auch ein Halsring. Hat das Pferd die inneren Hilfe verstanden und den äusseren Zügel verstanden ergänze ich den äusseren Schenkel als „hohe Gerte“. Irgendwann in diesem Prozess wechsle ich meist zum Kapzaum, da er natürlich eine wesentlich feinere und differenziertere laterale Hilfengebung ermöglicht durch die Anbindung des Zügels mittig auf dem Nasenstück und die dadurch bedingte Unterstützung der lateralen Verschiebung des Unterkiefers zum Oberkiefer in der Stellung. Diesen nutze ich auch im weiteren für die Arbeit mit zwei Zügeln sehr gerne.

Ziel für mich ist es immer, die Hilfen durch Hilfsmittel wieder auf ein Minimum zu reduzieren bzw. diese nur einzusetzen, wenn ich sie benötige, um dann das Erarbeitete möglichst auch frei, ohne Hilfsmittel, abfragen zu können. Je nach Pferdetyp, bzw. körperlichen und psychischer Disposition des Pferdes nutze ich mehr die Genauigkeit der klassischen Handarbeit oder die spielerischen Element des Horsemanship, bzw. jongliere mit diesen, um die Arbeitsfreude beim Pferd zu erhalten.

Ich habe schlechte Erfahrungen damit gemacht mich zu sehr auf die Perfektion von bspw. Lektionen zu fokussieren, da dies Pferde oft frustriert und vor allem den Menschen oft zum „Fehlergucker“ werden lässt. Grundsätzlich erfreue ich mich sehr daran und halte es für ganz wesentlich, dass die Einstellung beim Pferd stimmt, d.h. für mich die positive Energie und Motivation erhalten bleibt- die Grundlage für alles weitere und vor allem die Grundlage für jede weitere Schulung. Wenn die Pferde mit Spass dabei sind, ist es weniger ein Erarbeiten des gewünschten, als viel mehr ein gemeinsames Ausprobieren und zusammen das gewünschte Ergebnis finden. Die Pferde schenken einem dann häufig sehr viel. Sie wachsen oft extrem an Stolz, Selbstvertrauen und bieten meist sehr viel an – so macht das gemeinsame Training beiden Seiten sehr viel Freude, was für mich deutlich sichtbar in der Umsetzung ist (nicht gedrillt, sondern gemeinsam erarbeitet). Das Pferd lernt sauber und sorgfältig einzelne Buchstaben des ABC kennen (wie z.B. das Verschieben der Schulter in der Horsemanship), die dann zu einem Wort werden, später zu einem Satz zusammen gebaut werden und so zu einer gemeinsamen, individuellen Geschichte werden (in denen Stärken, Ressourcen und Interessen unbedingt Beachtung finden sollten) – ein großartiges Gefühl für Pferd und Mensch.

FEINE HILFEN: Wie gehen Sie in beiden Arbeitsvarianten mit Ihrer Körpersprache um? Da baut ja wahrscheinlich alles aufeinander auf. Können Sie beschreiben worauf Sie bei der klassischen Arbeit an der Hand besonders achten bezüglich der Körperhaltung?

Alex Zell: Von Anfang an versuche ich die Hinterbeine des Pferdes zu spüren und mit meinen Füssen zu spiegeln. Dies kann man z.B. sehr schön und ganz alltäglich und einfach beim Führen von der Koppel erarbeiten. Später nutze ich dies, indem das Pferd meine Füsse spiegelt und ich hiermit den Takt und die Energie beeinflussen, Schritte verlängern, verkürzen oder auch zur längeren Lastaufnahme animieren kann.

Ausserdem nutze ich, genau wie im Sattel, meinen Körper, um das zu tun, was ich auch vom Pferd haben möchte. Pferde reagieren hierauf sehr sensibel. Eine leichte Drehung oder auch ein Zurücknehmen der Schulter oder Hüfte ist bei entsprechender Schulung ausreichend, um das Pferd beispielsweise in ein Schulterherein oder Kruppeherein zu verschieben.

Mein Ziel ist es hierbei, frei und ohne Hilfsmittel mit dem Pferd kommunizieren zu können UND es sich biomeachanisch korrekt bewegen zu lassen, aber auch eine spielerische Kommunikation auf einer freundschaftlichen und wertschätzenden Ebene.

Je nachdem worin die Aufgabenstellung liegt, muss man natürlich immer wieder auf Hilfsmittel zurückgreifen, aber ich habe auch bei der Arbeit an der Hand immer das Aussetzen der Hilfen im Hinterkopf.

Mein Körper agiert als innerer Schenkel oder auch innerer Zügel, je nachdem wie weit hinten oder vorne ich mich am Pferd befinde. Das Pferd soll lernen, mich zu lesen und mit mir zu agieren. Natürlich kann ich nicht auf 4 Beinen gehen, aber ich kann meine Schulter und Hüfte entsprechend einsetzen, sowie den Takt und die Energie durch meinen Körper vorgeben, bzw. dem Pferd vermitteln und fühlen was von diesem zurück kommt.

FEINE HILFEN: Mit welcher Ausrüstung arbeiten Sie? Mit dem Bosal oder auf Trense oder schon Kandare?

Alex Zell: Ich arbeite in der Handarbeit meistens mit einem Kapzaum aus Leder ohne Metall. Dieser ermöglicht mir eine saubere laterale Einwirkung und unterstützt das Pferd in der korrekten Stellung, da er den Unterkiefer in Relation zum Oberkiefer in den Paraden korrekt bewegt.

Die Trense wäre eine weitere Variante zur lateralen Hilfengebung, ich persönlich ziehe aber den Kapzaum hier vor.

Die Kandare in meiner Reiterei ist kein Ausbildungsinstrument, sondern ein Signalgebiss, welches dem fertig ausgebildeten Pferd vorbehalten ist, deshalb nutze ich sie auch nicht zur Schulung des Pferdes an der Hand. Ausserdem bin ich der Meinung, dass die Hilfengebung vom Boden in der Feinheit wie ich sie in der Kandare benötige nur sehr schwer möglich ist, weshalb ich sie wenn, dann ausschliesslich im Sattel einsetze, aber wie gesagt erst ganz am Ende der Ausbildung.Auch das Bosal, bzw. die Hackamore nutze ich vom Boden, allerdings meistens erst, wenn ich nur noch vertikale Signale an der Zäumung benötige, oder ganz am Anfang, um dem Pferd die Einwirkung des direkten Zügels vom Boden aus zu erklären, in dem ich mit Paraden die einzelnen Vorderbeine anspreche. Das Bosal wirkt natürlich auch lateral, bzw. hat eine gleichzeitige laterale und vertikale Wirkung. Für die rein laterale Arbeit ist der Kapzaum aber die wohl geeignetere Zäumung, allerdings eben ohne vertikale Funktion.Ich mache es vom Pferd abhängig, womit es lieber und besser arbeitet, bzw. wir zusammen das beste Gefühl haben.

Sehr gerne arbeite ich auch mit einem Halsring aus Seil. Hiermit kann man gut überprüfen wie weit das Pferd and den Hilfen der eigenen Körpersprache steht und wieweit es noch über die Hand dirigiert wird, bzw. werden muss.

FEINE HILFEN: Worauf legen Sie bei der Ausrüstung sonst noch Wert?

Alex Zell: Ich lege bei der Wahl meiner Ausrüstung selbstverständlich großen Wert auf gute Qualität in Hinblick auf Passform und Verarbeitung. Ausserdem muss das Pferd sich wohl damit fühlen und sie muss funktional sein. Sehr wichtig ist mir auch das Gefühl, welches ich z.B. in die Hand bekomme, ich persönlich kann z.B. mit Gurtzügeln gar nichts anfangen, da ich finde, dass sie überhaupt kein „Leben“ haben und quasi tot in der Hand sind. Für eine gute Signalübermittlung versuche ich so wenig wie möglich Metall in der Verbindung zum Pferd zu haben, z.B. befestige ich das Leitseil grundsätzlich direkt am Knotenhalfter und achte bei Longen und Zügeln auf sehr kleine und leichte Karabiner, wenn sich diese nicht vermeiden lassen.Wenn sich Qualität und ein schönes Design dann noch ergänzen, warum nicht! Gute Ausrüstungsgegenstände hat man ein Leben lang.

Bezüglich der Materialien kann ich zwar den Trend zu Biothane durchaus nachvollziehen, aber bevorzuge Leder, auf Grund der Haptik und der damit verbundenen Signalübermittlung- da bin ich wohl etwas altmodisch. Meine Ausrüstungsgegenstände kaufe ich gerne bei „Custom-Made-Makern“ (Kunsthandwerkern), die noch echtes Handwerk praktizieren und ihre Produkte auch selbst nutzen.

FEINE HILFEN: Kann die klassische Arbeit an der Hand genutzt werden um das Pferd speziell auf die Arbeit im Gelände vorzubereiten?

Alex Zell: Grundsätzlich brauche ich ein Pferd, dass an den Hilfen steht, in Balance ist und sich gesund unter mir bewegt- losgelassen und mit Freude und Eifer mit mir zusammenarbeitet. Das alles kann ich mit klassischer Handarbeit in Kombination mit spielerischem Horsemanship erarbeiten und dann natürlich auch im Gelände nutzen. Meiner Meinung nach ist das Ziel jeglicher Arbeit mit dem Pferd immer hinführend zur Gebrauchsreiterei, sei es das Reiten im Gelände, Rinderarbeit, Trailreiten, Working Equitation, der barocke Waffengarten oder was auch immer. Ich halte es für sehr wichtig, sich und dem Pferd einen praktischen Bezug zur Dressur zu vermitteln und dann kann eben auch die klassische Handarbeit ein Baustein auf dem Weg dorthin sein, statt dem reinen Selbstzweck zu dienen.

FEINE HILFEN:…Oder um Pferde an Rinder etc. zu gewöhnen?

Alex Zell: Für die Gewöhnung ans Rind eignet sich eher die Arbeit mit Halfter und Leadrope, aber natürlich braucht das Pferd ein grundsätzliches Hilfenverständnis, welches durchaus mit klassischer Handarbeit vorab erarbeitet, oder auch verbessert werden kann, genauso wie z.B. Übergänge, Wendungen, Reaktivität, Impulsion und Versammlung-  alles Punkte, die für gute Arbeit am Rind meines Erachtens absolut notwendig sind. Mit der Doppellonge, bzw. dem Langzügel kann man ausserdem zum Beispiel Ponys, die man wegen ihrer Grösse nicht reiten kann, ans Rind bringen, dies ist auch der Fitness des Ausbilders sehr zuträglich, da man enorm schnell sein und viel laufen muss.

FEINE HILFEN: Vielen Dank für das Gespräch.

Das Gespräch führte Agnes Trosse.

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