Die Arbeit als spannendes Event: So lässt mein Pferd auch im Viereck los
Was hat ein GPS mit der Losgelassenheit zu tun? Und womit helfen Reiter der altkalifornischen Reitweise klemmigen Pferden? Alex Zell, Vaquero Horsemanship-Trainer, antwortete im Interview auf die Fragen von Feine Hilfen-Autorin Agnes Trosse. Seine Antworten zeugen von einem tiefen Verständnis für die Basisarbeit in der klassischen Reitkunst und sind nicht nur für Vaquero-Reiter hilfreich.
FEINE HILFEN: Welche Ursachen gibt es dafür, dass Pferde nicht oder unsensibel auf die vorwärtstreibenden Hilfen reagieren oder klemmen? Mal angenommen, dass körperliche Beschwerden ausgeschlossen werden können und angenommen, Sattel oder Hufbearbeitung sind in Ordnung,
Alex Zell: Meist ist es der Reiter, der das Pferd in seiner Bewegung blockiert oder behindert indem er beispielsweise schief sitzt, selbst verspannt ist oder sich fest macht, z. B. aus Angst, und somit die Bewegungen des Pferdes behindert oder es aus der Balance bringt. Auch fehlende Kontinuität in den Hilfen führen zu Klemmigkeit: Der Reiter hat sich über die Zeit einfach angewöhnt immer mehr zu machen und es vielleicht nicht mal selbst realisiert.
Sehr häufig hat „klemmen“ allerdings auch eine mentale Ursache.
In meinen Kursen hatte ich schon des öfteren Pferde, denen die geforderte Arbeit einfach zu stupide oder zu langweilig ist und leider auch solche, die durch eine sehr harte und unschöne Schule gegangen sind, beispielsweise im Sport, und deshalb abgeschaltet haben – Stichwort erlernte Hilflosigkeit (Erlernte Hilflosigkeit beschreibt einen Zustand, in dem das Pferd gelernt hat, dass es Situationen nicht kontrollieren oder beeinflussen kann. Als Konsequenz erträgt es nur noch, was mit ihm gemacht wird und wehrt sich nicht mehr gegen unangenehme Zustände. Es verhält sich passiv.). Umso schöner ist es, wenn sie Besitzer finden, die sie zu schätzen wissen und an diesen „Problemen“ arbeiten, wenngleich das keine einfache Aufgabe ist. Mentale Losgelassenheit ist die Grundvoraussetzung für physische Losgelassenheit und die Grundvoraussetzung jeder guten Reiterei.
FEINE HILFEN: Ab wann würden Sie von „Klemmen“ sprechen?
Alex Zell: Na ja, das Gegenteil von Klemmen ist Losgelassenheit, insofern würde ich von „Klemmen“ sprechen, wenn diese nicht erreicht werden kann. Wie mit vielen Dingen in der Reiterei gibt es keine absolute Definition, bzw. richtet sich diese nach der momentanen Situation.
Während mangelnde Balance oder mangelnde Losgelassenheit beim jungen Pferd vielleicht noch als Klemmen empfunden wurde, so wird die Schwelle natürlich immer weiter herunter gesetzt. Bei einem gut ausgebildeten Pferd würde man also bereits viel früher von „Klemmen“ sprechen, wenn es nicht wie gewohnt an den Hilfen steht.
FEINE HILFEN: Warum reagieren viele Pferde auf dem Reitplatz gar nicht auf die vorwärtstreibenden Hilfen, reagieren im Gelände aber äußerst sensibel?
Alex Zell: Von A nach C und zurück zu gehen ist ziemlich stupide und fördert nicht gerade die Kreativität des Pferdes. Was ich damit sagen möchte ist, dass viele Reiter tagein tagaus auf dem Reitplatz das selbe Programm mit ihren Pferden abspulen und oft selbst nicht entspannt und losgelassen agieren. Dadurch langweilen sich die Pferde, sie „schalten ab“, was sich dann in mangelnder Sensibilität oder Unlust äußert. Ein Pferd hat kein Verständnis dafür, dass es Dressurlektionen zeigen soll. Es ist ihm auch egal, dass es in drei Jahren einen Fesselträgerschaden haben könnte, wenn es nicht gymnastiziert wird. Hierüber macht es sich schlicht keine Gedanken – es lebt im Hier und Jetzt.
Das Gelände bietet Abwechslung und sinnvolle Bewegung mit einem Ziel für das Pferd. Es hat also Lust mitzuarbeiten und seinem natürlichen Vorwärtsdrang zu folgen. Ein Pferd wird sich immer besser in seiner natürlichen Umwelt bewegen und freudiger vorwärtsgehen, wenn es einen Sinn in der Bewegung sieht. Das Programm auf dem Platz sollte also so kreativ und abwechslungsreich wie möglich gestaltet werden. Wenn Probleme mit der Losgelassenheit bestehen, sollte man daran arbeiten, statt weiter zu machen, bis das Pferd am Ende noch klemmiger ist und Reiter und Pferd frustriert die Einheit beenden.
Der Fokus der meisten Reiter ist ein ganz anderer, wenn sie ausreiten oder mal Abwechslung in den „Alltagstrott“ bringen, das merken natürlich auch die Pferde.
Das A und O ist es, dem Pferd die Arbeit nicht als Arbeit zu verkaufen, sondern als eine Art spannendes Event mit viel Lob und Freude, dann wird es auch motiviert mitarbeiten, wenn es keine körperlichen Gebrechen hat. Wenn du liebst, was du tust, musst du nie wieder arbeiten. Das gilt nicht nur für Menschen, sondern auch für Pferde.
FEINE HILFEN: Wie kann man herausfinden, woran es genau liegt, dass das Pferd „klemmig“ reagiert?
Alex Zell: Zuallererst sollten die gesundheitlichen Aspekte und die Ausrüstung abgeklärt werden, da man nur dann unter fairen Bedingungen mit dem Pferd arbeiten kann. Dann schaue ich mir das Pferd gerne in der freien Arbeit an und eben in verschiedenen Situationen, (Gelände, Platz, am Rind, usw.), außerdem ist natürlich die Vorgeschichte spannend. Wichtig ist auch, ob das Pferd bei einem anderen Reiter evtl. nicht klemmt oder ob es dieselben Verhaltensweisen zeigt. Dann lässt sich meistens recht schnell eine Ursache erkennen, an der dann explizit gearbeitet werden kann.
FEINE HILFEN: Wie helfen Sie Reitern mit klemmigen Pferden? Welche Übungen gibt es für solche Pferd-Reiter-Paare?
Alex Zell: Wichtig ist zuallererst , das Pferd nicht zu stören. Dazu gehört auch das Abstellen sinnloser Hilfen. Ein treibender Schenkel kann z.B. nur ein Pferdebein bewegen, das in der Luft, oder kurz vor dem Abfußen ist. Der Reiter sollte die Bewegungen des Pferdes also verstehen und erspüren können. Außerdem ist es wichtig, ein Ziel zu haben. Alles in allem kann man auch sagen, dass die Losgelassenheit des Reiters die des Pferdes bedingt. Sind beide losgelassen, kann man weiterarbeiten, etwa an Seitengängen, Übergängen, Rückwärtsrichten, Tempounterschieden, Geländearbeit, Rinderarbeit, Liberty, Handarbeit, usw. Die Möglichkeiten sind da sehr vielfältig.
FEINE HILFEN: Ist es sinnvoll, das Herdenverhalten zu nutzen? (z.B. durch Abteilungsreiten)? Alex Zell: Abteilunsgreiten ist keine wirklich gute Idee, da das Pferd wenig Selbstverantwortung übernehmen muss und schlicht in der Abteilung mit läuft, ähnlich wie wenn wir mit Navi fahren, danach aber ohne die Unterstützung des GPS den Weg nicht wieder finden. Sinnvoll ist, stattdessen den Spieltrieb zu fördern, also z. B. ein anderes Pferd-Reiter-Paar zu verfolgen und „zu treiben“, oder auch einen Menschen am Boden. Das fördert das Selbstvertrauen des Pferdes und gibt ihm einen Job. Wunderbar funktioniert natürlich auch die Arbeit am Rind.
FEINE HILFEN: Wie weit darf man die vorwärtstreibenden Hilfen steigern? Ist ein “Klaps” ok? Oder geht das zu weit? Was tut man stattdessen?
Alex Zell: Ein plötzlicher Klaps hat meistens einen eher verspannenden Effekt, besser finde ich eine anvibrierende, sich in der Intensität steigernde Gerte, die dem Pferd Zeit gibt zu reagieren. Die beste Lösung ist allerdings einen neuen Reiz zu finden wie z.B. das Zwitschern der Gerte in der Luft, eine kleine Tüte am Gertenende oder etwas anderes um das Muster zu durchbrechen, ohne unfair zu sein. Hier ist Kreativität gefragt.
Ich kenne Pferde, denen war ein „Klaps“ mit der Gerte völlig egal und auf das Geräusch des Tippens der Gerte an den Steigbügel haben sie willig reagiert, einfach weil dieses neu war.
Die Verantwortung des Reiters liegt darin, diese Modifikation der Hilfe als Erklärung zu nutzen und sparsam, aber konsequent einzusetzen, um nicht wieder im selben Dilemma zu enden. Außerdem müssen dem Pferd Aufgaben gestellt werden, die es bewältigen und an denen es wachsen kann.
Sehr wichtig ist natürlich, das Loben nicht zu vergessen, damit es einen Sinn macht und das Pferd Bestätigung erfährt. Der Lerneffekt besteht nicht in der treibenden Hilfe, sondern im Auslassen dieser bei gewünschter Reaktion in Verbindung mit einem Lob des Pferdes.
FEINE HILFEN: Wieviel hat „Klemmen“ mit dem Charakter zu tun? Gibt es Charakterzüge (z.B. introvertiert sein) beim Pferd, die dazu führen, dass ein Pferd besonders schnell klemmig werden kann? Alex Zell: Je sensibler und intelligenter ein Pferd ist, desto schneller fühlt es sich über- oder unterfordert und ist in der Folge frustriert. Die Reaktion ist oft entweder fest werden, also Klemmen, oder Wegrennen. Jedes Pferd muss individuell geschult und ausgebildet werden. Enorm wichtig ist es, dem Pferd immer die Möglichkeit zu geben sich zu entfalten und seinen Stolz in der Arbeit zu fördern. Dann wird es auch willig mitarbeiten und sich nicht verspannen.
FEINE HILFEN: Zeigen Ihrer Erfahrung nach besonders häufig Stuten solch ein Verhalten, oder ist das eher ein Vorurteil?
Alex Zell: Na ja, die Rosse spielt sicherlich eine Rolle. Ich bin keine Frau, aber Rücken- oder Bauchschmerzen bei vielen Frauen in der Menstruation sind ja kein Geheimnis. Dementsprechend neigen natürlich auch einige Stuten zum Klemmen in der Rosse, aber dann ist wenigstens die Ursache schnell auszumachen und abzustellen, in dem man ihnen einfach ein paar Tage Pause gönnt bzw. das Training anpasst.
FEINE HILFEN: Was machen Sie mit Pferden, die aufgrund von Traumata nicht mehr auf Hilfen reagieren und sich vielleicht sogar mit ihrem Verhalten gegen den Reiter wenden, z.B. durch Steigen oder aggressives Verhalten? Wann muss man Ihrer Ansicht nach in dem Zusammenhang von einem Trauma sprechen?
Alex Zell: Trauma bedeutet ja Verletzung- egal welcher Art, diese kann sowohl physisch als auch psychisch sein. Im ersten Fall ziehe ich einen Fachmann wie z.B. einen Osteopathen hinzu. Bei einem psychischen Trauma muss man sehr genau ergründen wo die Ursache liegt und warum das Pferd so reagiert, wie es reagiert. Geht es in den Kampf, will es aus Angst fliehen, erstarrt es? Aggression ist eine extrovertierte Verhaltensweise, die in der Regel einfach zu korrigieren ist, indem man dem Pferd ein klare Führung, Grenzen und Beständigkeit bietet. Pferde, die aus Angst unerwünschte Verhaltensweisen zeigen, brauchen Zeit sowie Situationen, die das Selbstvertrauen fördern und eine ruhige und fördernde Hand. Am schwierigsten sind Pferde zu korrigieren, die „zumachen“ also erstarren, da dann schlicht keine Kommunikation mehr stattfindet. Lieber habe ich ein Pferd, das mit gefletschen Zähnen auf nicht zukommt, da dann eine Interaktion vorhanden ist. Ich kann antworten und hoffentlich verstehen wir uns irgendwann. Aber wenn das Gegenüber schlicht nicht mehr mit mir spricht, wird es schwierig.
Mehr Druck bringt diese Pferde meist nur noch weiter auf Entfernung und es ist keine schöne, bzw. sogar traurige Arbeit, wenn man sich überlegt, warum ein so anmutiges sensibles und kommunikatives Tier so geworden ist. Oft haben diese Pferde so gut wie alles erlebt und man muss sein ganzes Repertoire ausschöpfen, um sie wieder zur Zusammenarbeit mit dem Menschen zu motivieren. Sie müssen den Menschen wieder positiv erleben und Pferd sein dürfen. Da kann es dann auch mal sein, dass ich mich durchaus freue, wenn das Pferd mal bockt und sozusagen Gefühle zeigt, dann findet wieder Kommunikation statt, damit kann man arbeiten.
FEINE HILFEN: Könnte man Ihrer Ansicht nach klemmige Pferden auch nur mit positiver Verstärkung, etwa Clickertraining, aus der fehlenden Vorwärtsbewegung heraus holen? Macht das Sinn?
Alex Zell: Ja sicher, man kann alles beziehungsweise gibt es immer jemanden, der es kann.
Gerade bei Pferden die „genug vom Menschen haben“, bzw. Leid erfahren haben ist es sicher sinnvoll mit positiver Verstärkung zu arbeiten. Ob man das nun ausschließlich macht, muss man vom Einzelfall abhängig machen. Ich bin außerdem kein Fan davon, dogmatisch zu sein und ausschließlich mit nur einer Methode zu arbeiten. Warum nicht einen – natürlich fairen – Reiz setzen und die richtige Reaktion dann mit viel Lob positiv besetzen und von mir aus auch mit einem Leckerli – dann haben wir negative und positive Verstärkung kombiniert.
FEINE HILFEN: Was machen Sie mit Pferden in der Ausbildung, die die Nähe des Menschen als Sicherheit empfinden und die stoppen, sobald sich der Mensch bei der Arbeit am Boden von ihnen entfernt?
Alex Zell: Grundsätzlich ist es ja toll, wenn ein Pferd den Menschen als Sicherheit empfindet, das ist ja genau das, was wir ihm vermitteln wollen. Wenn es ohne mich den „Mut verliert“ zeige ich ihm, dass es auch Situationen selbständig meistern kann, beispielsweise in einem Trail mit „Schreckhindernissen“ am Boden, die es zu bewältigen gilt. Ich lasse ihm möglichst viel Entscheidungsspielraum um sein Selbstbewusstein zu stärken. Auch die Arbeit am Rind kann hier wieder sehr gut helfen. So bringe ich es immer mehr auf Distanz, ohne die Verbindung zu verlieren.
FEINE HILFEN: Vielen Dank für das Gespräch.
~ Feine Hilfen Ausgabe 23