Warum reiten wir und was würden unsere Pferde sagen?
Ich habe mich in den letzten Jahrzehnten mit verschiedensten Reitweisen und Lehren beschäftigt und habe dabei viel für mich und meine Pferde gelernt. Vieles war gut und manches weniger, missen möchte ich aber nichts davon. Ich bin schnell geritten und langsam, habe Dressur und Rinderarbeit gemacht, im Bosal, der Trense, der Kandare, den Two Reins, auf Iberern, Warmblütern, Quarterhorses und vielen anderen Pferden und jedes war individuell und einzigartig.
Die Frage, die ich mir dabei immer stelle ist aber vor allem: „Was sagt mein Pferd dazu?!“
Die Reiterei hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert, sie ist vielschichtiger geworden, umfangreicher und voll von verschiedenen Sparten, in denen sich jeder wiederfinden kann und doch reiten wir alle Pferde. Die Ziele der Reiter haben sich dabei verändert – Lektionen wie Piaffe und Passage haben Einzug in den Bereich des Freizeitreitens gehalten, was ich nicht negativ bewerten möchte, häufig aber leider ohne ein wirkliches Verständnis für den Sinn und Unsinn dieser Lektionen und die korrekte Ausführung.
Oft verwischt dieses Streben nach Idealen der gewählten Reitweise aber den eigenen Blick für das Pferd, das geliebte Lebewesen an unserer Seite. Ich vertrete nach wie vor die Meinung, dass ein „gesundes Pferd“ auch gesund alt werden kann, wenn es lediglich entspannt in den drei Grundgangarten auf wechselnden Untergründen und einem angepasstem Pensum im Gelände ausgeritten wird, wohingegen viele Pferde, oft mit guten Hintergedanken des Reiters, durch falsch verstandene Dressur gesundheitlich geschädigt werden.
Habe ich als Reiter höhere Ziele in meiner gewählten Reitweise, so liegt es in meiner Verantwortung zu schauen, ob mein Pferd meine Wünsche erfüllen kann und auch, ob ich als Reiter das nötige Wissen und Können für meine Ansprüche habe. Hat es die Kraft und bspw. die entsprechende Stabilität der Sprunggelenke um Rollbacks zu trainieren, ist es körperlich in der Lage die Lektionen der hohen Schule zu gehen und vor allem: hat mein Pferde Freude an dem was mir Freude bereitet?! Oder muss es sich quasi „quälen“ um meinen Ansprüchen gerecht zu werden?
Ich möchte dies gerne an einem Beispiel erläutern. Schauen wir uns z.B. die alten Meister an, so wurden nur Pferde mit der entsprechenden „Qualität“ überhaupt in die Ausbildung genommen und die jeweiligen Reiter studierten ihr Tun in Theorie und Praxis in Akademien. Schauen wir uns den Arbeitsalltag eines Buckaroos an, so waren immer genügend Pferde vorhanden um einen „Ausfall“ schnell kompensieren zu können, bzw. wurden Pferde gezielt nach ihren Qualitäten für den entsprechenden Einsatz ausgewählt.
Heutzutage machen sich hierüber eher wenige Gedanken, stattdessen wird das Pferd oft in das gewählte Schema, welches durchaus gut sein kann, gepresst. Der kleine Isi soll piaffieren und der Traber wird zum CowHorse. Das ist grundsätzlich völlig in Ordnung, aber als Reiter habe ich die Verantwortung auf mein Pferd zu schauen und einzuschätzen, ob dieses Freude daran hat und wie weit es in der Lage ist meinen Zielen zu folgen, oder eben nicht. Was ist denn schlimm daran, ein Pferd vernünftig in den 3 Grundgangarten auszubilden, was schon schwierig genug ist?
Ein weiteres Problem ist die oft vorherrschende Systemik in vielen Reitweisen. Das Pferd muss z.B. erst im Schritt perfekt ausgebildet werden, bevor wir traben und der Galopp… , der kommt erst ganz spät dazu. Vielleicht habe ich aber ein Pferd, das sehr gerne galoppiert und das auch gut macht, im Schritt aber grosse Schwierigkeiten hat oder es macht im Trab den Rücken fest und bewegt lediglich die Beine. Warum fangen wir nicht da an, wo es dem Pferd leicht fällt und sind bereit vom System abzuweichen, weil eben kein System für jedes Pferd funktioniert. Lassen wir es doch erstmal galoppieren, ohne es dabei zu stören auf grossen Linien und finden uns dabei mit ihm zusammen ohne es gleich bremsen und in Form bringen zu wollen.
Seien wir doch mal ehrlich: haben wir uns die kindliche und wertfreie Freude an der Reiterei bewahrt, sind wir noch bereit zu fühlen? Hat unser Pferd Freude an der von uns gewählten Arbeit, wird es dadurch stolz, kommt es auf dem Paddock zu uns und möchte gerne etwas mit uns machen? Erlauben wir ihm eigene Ideen und Kreativität… oder versuchen wir uns gemeinsam mit unserem Pferd passend für das gewählte Ideal zu machen und diesem auf Gedeih und Verderb nachzueifern, während unser Pferd und vielleicht auch wir immer unglücklicher werden?
Pferde leben im Hier und Jetzt, es interessiert sie nicht was morgen passiert und sie suchen nach Komfort, Geborgenheit und Anerkennung innerhalb der Herde und bei ihrem Menschen.
Es liegt mir fern, mit diesen Gedanken irgendjemanden anzugreifen und ich bin in der glücklichen Lage viele Schüler zu haben, die sehr vielseitig und reflektiert mit ihren Pferden kommunizieren und zusammen arbeiten.
Was mir ein Anliegen ist, ist die eigene Sensibilität für das eigene Pferd in den Vordergrund zu stellen und dazu anzuregen offen zu bleiben und die Freude an den Pferden und der Reiterei im Blick zu behalten.
Dressur ist gut und wichtig, wenn ich verstehe welche Lektion/Übung meinem Pferd hilft sich physiologisch besser bzw. verschleissfreier bewegen zu können. Nicht, wenn ich es mit Gerte und Sporn in Lektionen zwingen muss, die dann keine sind und doch so benannt werden.
Rinderarbeit ist eine tolle Sache und macht vielen Pferden enorm Spass, aber schnelle Stopps und Turns fallen eben nicht jedem Pferd leicht und es sind Arbeitslektionen auf die das Pferd körperlich entsprechend vorbereitet sein sollte, um keinen Schaden davon zu tragen.
Wanderreiten ist eine grossartige Sache, aber eben nur wenn ich ein starkes Pferd mit gutem Rücken und guten Beinen und Hufen habe und/oder bereit bin eben auch mal eine ganze Strecke zu Fuss zu gehen und die Touren entsprechend anzupassen.
Neben dem Exterieur spielt aber auch das Interieur eine genauso wichtige Rolle. Aus Pferdesicht ist es völlig sinnfrei bei A loszugehen, an C vorbei und bei A wieder anzukommen und das noch in einer bestimmten und meist sehr anstrengenden Haltung auszuführen. Dies sieht z.B. im Gelände ganz anders aus, da das Pferd einen Sinn in seinem Tun erkennt, warum also nicht z.B. die Dressurarbeit mal in´s Gelände verlegen in Abwechslung mit entspanntem Zusammensein?
Wichtig nach meiner Meinung ist vor allem ein angepasstes und abwechslungsreiches Training. Kein Mensch und auch kein Pferd hat Freude daran immer kritisch betrachtet und permanent auf die eigenen Probleme hingewiesen zu werden. Das soll nicht heissen, dass wir diese nicht angehen sollten, aber wir sollten uns nicht verbissen darauf fokussieren und alles andere aus dem Blick verlieren und vor allem sollten wir offen bleiben, denn es gibt immer viele verschiedene Wege um ans Ziel zu kommen. Und vielleicht verändern sich Ziele auch?
Viele Systeme funktionieren für viele Pferde, aber eben nicht für jedes und genau da müssen wir achtsam sein und unser Tun reflektieren, in uns hineinhorchen und vor allem unser Pferd fragen was es davon hält. Denn wenn sich unsere Wege irgendwann trennen und wir uns dann wiedersehen, dann möchte ich, dass mein Pferd über die riesigen grünen Wiesen zu mir galoppiert kommt und sagt: „Ich habe dich vermisst. Schön, dass du wieder da bist und wir gemeinsam glücklich sein können“.